19% Differenz bei der Vorhersage einer einzelnen Verkaufschance im B2B-Vertrieb klingt auf den ersten Blick vielleicht nicht viel. Doch bezogen auf die Volumina eines ganzen Unternehmens kann dies schnell einen großen Unterschied für die Vertriebssteuerung, den Forecast und die Liquidität machen. Schauen wir uns einmal an, wie diese 19% zustande kommen und vermieden werden können.
Wer kennt diese Situation aus dem Alltag eines Vertrieblers nicht:
Das Telefon klingelt und ein potenzieller Kunde interessiert sich für unsere Lösung. Ich höre mir geduldig die Aufgabenstellung an, stelle fachkundige Fragen zu den üblichen Problemstellungen und freue mich über ein neues Projekt, das mir hilft, meine Umsatzvorgaben für dieses Jahr doch noch zu erfüllen.
Wie so oft habe ich das Gefühl, dass die Chemie zwischen uns stimmt und ich fange langsam an, unsere „Story“ zu erzählen und die Vorteile unserer Lösung in Nebensätzen einzubauen. Abschließend verspreche ich noch, die gewünschten Unterlagen schnellstmöglich zuzusenden und verabschiede mich freundlich.
Verkaufschance anlegen und bewerten
Doch zunächst muss alles in unser CRM-System. Also lege ich eine neue Verkaufschance an und gebe alle wichtigen Informationen zur Anfrage und den Problemstellungen ein.
Dann kommt die Gretchenfrage: „Wie hoch ist wohl die Abschlusswahrscheinlichkeit?“ und das basierend auf einem einzigen Telefongespräch. Ich überlege:
- Das erste Gespräch verlief positiv
- die Chemie zwischen uns passte
- die Anforderungen können wir auf jeden Fall lösen
- und die Entscheidung soll zeitnah fallen.
Mein Bauchgefühl sagt mir, dass bekommen wir schon irgendwie hin und gebe aufgrund der frühen Phase nur eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 30% in unser CRM-System ein. Gewichtet mit dem zu erwartenden Umsatz von ca. 400 T€ erhöht dies zumindest meine Pipeline für dieses Jahr schon mal um 120 T€.
Wo liegt das Problem?
Als Nicht-Vertriebler*in könnte man bei diesem Szenario schnell zum Schluss kommen, dass alles gut sei. Aber noch einmal zurück zum Anfang. Welche Informationen wurden in dem Erstgespräch tatsächlich vermittelt, aber noch viel wichtiger, welche Informationen fehlen für eine realistische Einschätzung der Erfolgsaussichten?
Klar ist, es gibt ein neues Projekt mit Anforderungen, die vermutlich in das Lösungsspektrum des Anbieters passen. Nicht klar dagegen ist:
- Wer sind die Entscheider*innen und wie stehen die zu dem Lösungsansatz und dem Anbieter selbst?
- Stimmte die Chemie zwischen den beiden oder wurden die Signale falsch interpretiert?
- Wer sind die Wettbewerber und wie kann man gegen sie gewinnen?
Schon bei diesen 3 Beispielfragen wird deutlich, dass die subjektive Einschätzung der Erfolgschancen mit dem Bauchgefühl nicht zielführend ist.
Wie wird mit diesem Problem in der Praxis umgegangen?
Laut einer Studie von CSO Insights basiert bei ca. 80% der Unternehmen im B2B-Vertrieb die Einschätzung der Erfolgschancen auf dem Bauchgefühl. Ein kleinerer Teil nutzt formal-strukturierte Review-Prozesse, Vertriebsmethoden in Form von Best-Practice-Ansätze oder gibt Meilensteine für jede Verkaufsphase vor.
Warum ist eine genaue Vorhersage der Erfolgsaussichten so wichtig?
Die Vorhersage der voraussichtlichen Umsätze ist elementar für die strategische Planung und Steuerung der betrieblichen Abläufe. Wird z. B. in einem Quartal nur die Hälfte des erwarteten Sales Forecasts erreicht, kann dies ernsthafte Auswirkungen auf die Finanzplanung haben; im Worst-Case-Szenario sogar die Liquidität des Unternehmens gefährden.
Eine realistische Einschätzung ist die Basis für eine effiziente Vertriebssteuerung
Eine realistische Einschätzung der Erfolgschancen und damit die Bewertung der aktuellen Verkaufssituation ist essenziell für die effiziente Steuerung des weiteren Verkaufsprozesses. Wird die Beziehung zur Kontaktperson als sehr gut wahrgenommen, besteht auch kein Anlass mehr, diese durch entsprechende Vertriebsaktivitäten zu verbessern.
Natürlich setzt diese Logik voraus, dass eine gute Beziehung für die potenzielle Kaufentscheidung wichtig ist und dass ein einheitliches Verständnis des Begriffs „Beziehung“ vorliegt. Oder etwas allgemeiner formuliert, welche Faktoren bestimmen denn eigentlich darüber, ob eine Verkaufschance gewonnen oder verloren wird. Dies führt uns zurück auf das Eingangsszenario und den fehlenden Informationen zur Vorhersage der Erfolgswahrscheinlichkeit.
Die Studie „Sales Forecast 4.0“
Mit der Studie „Sales Forecast 4.0“ wurde auf Basis einer Stichprobe mit 188 Verkaufschancen von 82 erfahrenen B2B-Verkäufer*innen aus 62 Unternehmen ein psychometrischer Kurzfragebogen entwickelt, der die relevanten Einflusskriterien systematisch abfragt.
Das Ergebnis sind drei übergeordnete Erfolgsfaktoren:
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- Der Erfolgsfaktor Beziehung & Commitment spiegelt verschiedene Aspekte der Beziehung zum Interessenten wider. (7 Fragen)
- Die projektspezifische Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt die relative Stärke der Wettbewerber. (5 Fragen)
- Der Erfolgsfaktor Anforderungen & Vorstellung zeigt, inwieweit die angebotene Lösung mit den Anforderungen übereinstimmt. (4 Fragen)
Die Beantwortung der Fragen erfolgt auf einer 5-stufigen Likert-Skala von „stimme gar nicht zu“ bis „stimme vollkommen zu“.
Mit diesen drei inhaltlichen Kennzahlen ist das Vertriebsteam in jeder Verkaufssituation in der Lage, den weiteren Vertriebsprozess zielführend zu steuern. Die Erfolgsfaktoren geben dabei einen schnellen Überblick über die Problemfelder einer Verkaufschance und bei wiederholter Durchführung des Fragebogens zeigt die Entwicklung der Kennzahlen, an welcher Stelle der Verkaufsprozess stagniert oder zu scheitern droht.
Der Weg zur Berechnung einer realistischen Erfolgswahrscheinlichkeit
Natürlich ist es für die Verkäufer*innen und das Management enorm wichtig, eine möglichst realistische Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit zu bekommen. Am besten wäre es, wenn zur Berechnung nur Informationen verwenden werden, die auch wirklich in einem Zusammenhang mit der potenziellen Kaufentscheidung stehen.
An dieser Stelle kommt der Einsatz eines KI-basierten Prognosemodells ins Spiel. Die Antworten des Fragebogens sowie das Bauchgefühl selber bilden hierfür eine hervorragende Datengrundlage.
Entscheidend ist dabei, dass sowohl bei den Antworten als auch beim Bauchgefühl jeweils nur der Informationsanteil verwendet wird, der in einem Zusammenhang mit der Kaufentscheidung des potenziellen Kunden steht. Mit entsprechenden KI-Methoden ist es so möglich, unerwünschte Einflüsse wie z. B. der wahrgenommene Erfolgsdruck oder eine schlechte Stimmung aus den Berechnungen „herauszufiltern“.
FAZIT:
Wendet man das KI-basierte Prognosemodell auf das geschilderte Eingangsszenario an, ergibt sich eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 11%. Im Vergleich zum Bauchgefühl entspricht dies einer Differenz von 19% oder einem bewerteten Umsatz von 67 T€.
Die Kennzahl des Erfolgsfaktors „Beziehung“ nimmt dabei einen Wert von 3.1 an. Statistisch gesehen wurden mit einem Wert von 3.1 oder kleiner bisher gerade mal 1% der Verkaufschancen gewonnen.
Grundsätzlich zeigte die Studie „Sales Forecast 4.0“, dass der Erfolgsfaktor „Beziehung“ von vielen Verkäufer*innen überbewertet wird und der Erfolgsfaktor „Wettbewerb“ bei den subjektiven Einschätzungen so gut wie keine Rolle spielt.
Um zu einer effizienten Vertriebssteuerung zu kommen, ist eine ganzheitliche und realistische Betrachtung der Verkaufssituation zwingend notwendig. Hierbei müssen Erfolgsfaktoren verwendet werden, die einen nachweislichen Zusammenhang mit der potenziellen Kaufentscheidung haben.
Der psychometrische Kurzfragebogen ermöglicht genau diese ganzheitliche Betrachtung und zwingt die Verkäufer*innen nicht zu Spekulationen wie in dem oben beschriebenen Szenario.